access_time published 17.12.2021

Wie geht Omnichannel-Marketing? Best Practices für Pharmaunternehmen

Wie geht Omnichannel-Marketing? Best Practices für Pharmaunternehmen

17.12.2021

Der «Content Hub Health Care Marketing» wird kuratiert und produziert von der EMH Schweizerischer Ärzteverlag AG in Zusammenarbeit mit «persönlich», dem Schweizer Kommunikationsmagazin für Entscheider und Meinungsführer.

Autoren:
Jens Haarmann, Dozent am Institut für Marketing Management / ZHAW Studiengangsleiter CAS Healthcare Marketing & CAS Swiss Biodesign
Carla Bucher, ZHAW, Absolventin des MAS Healthcare & Marketing

Dieser Artikel erschien am 16.12.2021 im Fachmagazin «persönlich» (Ausgabe 12-2021, S. 116 + 117, Artikel als PDF) .

 

Als Dozent für Healthcare-Marketing wird man von Pharma-Marketers regelmässig auf Best Practices im Omnichannel-Marketing angesprochen: Sollen, statt wie bis anhin überwiegend Medizinerinnen und Mediziner, vermehrt auch Patienten umworben werden? Auf welche Touchpoints sollte fokussiert werden? Wie kann die grösste Reichweite in der Zielgruppe erreicht werden? Welche Trends sind erkennbar?
Grund genug, im Folgenden einen anwendungsorientierten Überblick für die Schweiz zu geben. Dieser beruht auf den aktuellen Erfahrungen aus Omnichannel-Forschungsprojekten und einer in diesem Herbst an der ZHAW abgeschlossenen Masterarbeit von Carla Bucher über Benchmarking-Faktoren im Omnichannel-Pharmamarketing. Im Rahmen dieser Arbeit wurden neun Pharma-Marketingverantwortliche zu Best Practices im Omnichannel-Marketing von verschreibungspflichtigen Medikamenten (im Fachjargon als Rx-Medikamente bezeichnet) interviewt.

 

Worum geht es genau?

 

Als Omnichannel-Marketing wird die nahtlose Abstimmung einer Vielzahl von digitalen und nicht digitalen Touchpoints (Kundenkontaktpunkte) bezeichnet. Dies soll Kunden eine möglichst personalisierte User- Experience und nahtlose Wechsel zwischen Touchpoints ermöglichen.

 

Zielgruppen: Healthcare-Professionals (HCP) bleiben die Hauptzielgruppe

 

Im Jahre 2020 machten die verschreibungspflichtigen Medikamente, die hier vertieft werden sollen, rund 90 Prozent der weltweiten Pharmaumsätze von total 1,3 Billionen Dollar aus. In der Pharma-Marketing-Community wird schon seit Längerem eine grössere Fokussierung auf die Zielgruppe Patienten statt auf HCP (meist Medizinerinnen und Mediziner) diskutiert. Von einzelnen Interviewten wird jedoch zu Recht darauf hingewiesen, dass aufgrund der Verschreibungspflicht, von Informationsasymmetrien und des Publikumswerbeverbots in Europa weiterhin HCP den überragenden Anteil am Entscheid über die Anwendung eines verschreibungspflichtigen Medikaments (Rx) haben. Marketingaktivitäten für HCP werden daher weiterhin mehrheitlich als «Pflicht», Patientenkommunikation als «Kür» eines erfolgreichen Pharma-Marketings betrachtet.

 

Kommunikationsziele: Evidenz für HCP, Empathie für Patienten

 

Auf Ebene Healthcare-Professionals zielt das Omnichannel-Marketing, je nach Lebenszyklus des Produkts, auf die Brand-Awareness und die Positionierung des konkreten Arzneimittels ab. Hier kommt evidenzbasierten, kompakt aufbereiteten Produkt- und Studieninhalten als Flyer oder, zunehmend, als kurzes Video oder Podcast eine grosse Bedeutung zu.
Aufgrund des Verbots von Publikumswerbung sind den Kommunikationszielen auf Ebene der Patientinnen und Patienten enge Grenzen gesetzt. So darf patientenorientierte Kommunikation nur für die Krankheiten und die nicht produktspezifischen Therapieoptionen sensibilisieren, nicht für die Produkte selber. Zudem interessieren Patientinnen und Patienten Erfahrungen, wie sich eine Erkrankung auf Familienleben, Beruf und Freizeit auswirkt. Entsprechend werden Testimonials, Tipps und Austauschmöglichkeiten geschätzt, wie sich die Lebensqualität positiv gestalten lässt. Gute Patientenkommunikation zeichnet sich darüber aus, wie glaubwürdig es sowohl durch die Text- und die Bildauswahl als auch den richtigen Tonfall gelingt, für Betroffene und ihre Familien Empathie zu zeigen.

 

Kommunikationskanäle: Weniger ist mehr

 

Kommunikationsinhalte und -kanäle wollen im Pharma-Omnichannel-Marketing aus zwei Gründen besonders gut überlegt sein: Zum einen müssen Werbeinhalte mit grossem Aufwand zertifiziert und regelmässig rezertifiziert werden. Zum anderen führt eine Vielzahl von HCP-User-Journeys, kombiniert mit einer Vielzahl von digitalen und nicht digitalen Touchpoints, zu einer sehr hohen Komplexität. Daher ist ein selektives Vorgehen bei der Anzahl und der Auswahl der Kanalkombinationen zu empfehlen.
Als wirkungsvollste HCP-Kanäle wurden von den Pharma-Marketers nahezu einvernehmlich E-Mails, Newsletter und Videocalls genannt. Eine Best Practice ist dabei die folgende Omnichannel-Kanalkombination:
1. Product-Launch-Werbung in medizinischen Fachmedien (Print und Online) und auf HCP-Plattformen mit hoher Reichweite,
2. HCP-E-Mail-Newsletter, gefolgt von
3. virtuellen oder Face-to-Face-Aussendienstbesuchen (weiterhin als effektivster Kanal von den befragten Experten eingeschätzt), beziehungsweise alternativ Webinare,
4. nach denen den HCP schliesslich eine personalisierte, teilautomatisierte E-Mail zugesandt wird. In dieser stellt ein Link zum HCP-Portal dann vertiefende Produktinformationen und Fallbeispiele für den fortgeschrittenen Entscheidungsprozess des HCP zur Verfügung. In dieser Kanalkombination können Reichweiten- und Effektivitätsvorteile der verschiedenen Kanäle für eine hohe Conversion genutzt werden.

 

«Stell dir vor, es gibt HCP-Portale … und keiner geht hin»

 

Viele Pharmaunternehmen haben in den letzten Jahren aufwendige HCP-Portale innerhalb ihrer Unternehmenswebsites eingerichtet. In Interviews mit HCP wird aber deutlich, dass die wenigsten unter ihnen Pharma-Websites proaktiv besuchen. Dies hat einerseits mit Zweifeln der Ärzteschaft hinsichtlich der Objektivität von durch Pharmaunternehmen präsentierten klinischen Ergebnissen zu tun. Andererseits beraubt aber auch das Verbot von Publikumswerbung Pharma-Websites einige seiner effektivsten Akquisitions- und Lead-Generating-Tools (siehe Textbox). Damit HCPPortale dennoch ein effektiver Teil der HCPJourney werden, müssen die zuvor beschriebenen Push-Massnahmen gezielt auf diese hinführen.

 

Pharma-Kampagnen brauchen Third-Party- Kooperationen

 

Um Healthcare-Professionals zeitnah und mit grosser Reichweite ansprechen zu können, kommt medizinischen Konferenzen und Fachmedien weiterhin eine hohe Bedeutung zu. Von HCPs werden deren Leitlinien und Artikel als erste Anlaufstelle für die neutrale Information zu Neuprodukten und deren klinischer Wirksamkeit, Nebenwirkungen et cetera genannt, etwa gleichauf mit HCP-Informationsportalen wie Uptodate oder Compendium. Während bei Grundversorgern lokale Fachmedien, Guidelines und Publikationen in der Landessprache besonders geschätzt werden, konsultieren Spezialärzte häufig zusätzlich die Medien internationaler Fachgesellschaften. Auch bei Disease-Awareness-Kampagnen für Patienten entspricht es Best Practice, durch Third-Party-Kooperationen eine höhere Reichweite und Akzeptanz zu generieren. Hier sind es Patientenorganisationen, die im Sinne einer Co-Creation idealerweise bereits bei der Analyse der Patienteninformationsbedürfnisse und der Entwicklung der Kommunikationsinhalte involviert werden. Über deren Kommunikationskanäle diffundiert, können Akzeptanz und Reichweite einer Kampagne deutlich gesteigert werden.

 

Next Practices?

 

Neben der zunehmenden Verbreitung von Webinaren und Videocalls hat die Corona- Pandemie auch die Experimentierfreude vieler Pharmaunternehmen stimuliert. Der Ausbau der eigenen Plattformen zu Education-Centers hat zusätzlich an Fahrt gewonnen. Bei Kommunikationsformaten gesellt sich zur verstärkten Nutzung von Explainer-Videos und Podcasts zur Zusammenfassung wissenschaftlicher Konferenzbeiträge auch der testweise Service- und Education-Einsatz von Chatbots. Zudem bieten Digital-Health- und Therapeutic-Apps neue Möglichkeiten, insbesondere bei chronisch Kranken einen kontinuierlichen Austausch und höheres Patienten-Engagement zu erzielen.

 

Rechtliche Rahmenbedingungen für die Werbung

 

Werberechtsimplikationen für das Pharma-Omnichannel- Marketing (nicht abschliessend oder juristische Gültigkeit beanspruchend):

  • Pharmawerbung in der Schweiz wird im Bundesgesetz über Arzneimittel und Medizinprodukte (HMG), Artikel 31 und 32, und in der Verordnung über die Arzneimittelwerbung geregelt.
  • Fachwerbung für Healthcare-Professionals muss wissenschaftlich korrekt, wahr, ausgewogen und nicht irreführend sein. Product-Claims müssen durch geeignete klinische Studienergebnisse belegt werden.
  • Publikumswerbung für Patienten ist für verschreibungspflichtige Arzneimittel grundsätzlich verboten, was auch das Omnichannel-Marketing für HCP, wie folgt, stark tangiert.
  • Für Rx-Arzneimittel können keine Search-Engine-Ads oder öffentliche Banner-Werbung geschaltet werden.
  • Produktinformationen dürfen auf Pharmawebsites nicht für Suchmaschinen indexiert werden. Damit sind Search-Engine-Optimization, Content- und Inbound-Marketing kaum anwendbar.
  • HCP-Inhalte auf einer Pharmawebsite müssen durch einen Login geschützt werden, eine weitere Hürde für HCP-Besucher.

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